Vietnam – Rambo Country für Meerwasseraquarianer

Wer noch nie in Vietnam war und auch keine Dokus darüber gesehen hat, wird Vietnam eher mit dem Vietnamkrieg und Rambo in Verbindung bringen, als mit Wüsten und traumhaften Riffen mit Steinkorallen satt.

Aber genau dieses unbekannte Vietnam ist es, was neugierig macht und den Entdecker in uns weckt! Aber warum Vietnam, dessen marine Fauna ein Mix aus Thailand, Malaysia und den Philippinen darstellt? 

Vielleicht, weil Thailand und Malaysia überlaufen sind und auf die Philippinen irgendwie auch schon jeder Taucher fliegt. Vietnam ist zwar kein Geheimtipp mehr, aber trotzdem noch etwas unentdeckt. Im Dschungel kann man so alleine unterwegs sein, dass man meint, jeden Moment kommt ein alter Soldat aus dem Busch, der nicht mitbekommen hat, dass der Krieg seit 35 Jahren vorbei ist! 

Wir Meerwasserfans nehmen die schönen Tempel, das exotische Essen und den Dschungel neben den Wüstenteilen (bei Nha Trang) gerne mit, fiebern aber immer den Begegnungen mit dem Meeresgetier entgegen. In Phuket/Thailand legen morgens etwa 90 Boote mit Tauchern ab, um die umliegenden Riffe zu besuchen. In Nha Trang, etwa 500 km nordöstlich von Ho-Chi-Minh-Stadt (dem ehemaligen Saigon), legen morgens 2-3 Boote zum Tauchen ab. Durch vorgelagerte Inseln fahren sie sich aber nicht über den Haufen, sondern versuchen sich aus dem Weg zu gehen. Die meisten schönen Riffe liegen um die Insel Hon-Tre sowie Hon Mun herum verstreut. Hier befinden sich auch die 11 besten Tauchspots der ganzen Region.

Die Riffe sind, durch ihre Lage, extrem unterschiedlich. Schon über Wasser können wir mit unserer Erfahrung erahnen, wo wir starken Korallenwuchs finden werden und wo wir eher strömungsgepeitschte Steinformationen mit wenigen Korallen aber vielen Fischen erwarten dürfen. Sobald bei Inseln eine Spitze in das Meer hinausragt, steigt an solchen Stellen die Strömung exponentiell an und die Unterwasserfauna verändert sich. Dort sind Großfischbegegnungen mit Makrelen, Haien und Barrakudas wesentlich wahrscheinlicher, als in geschützten Buchten, in denen die Riffe in Ruhe wachsen können. Hier können dann auch ruhige Schwimmer wie Seepferdchen, Kofferfische, juvenile Fledermausfische oder auch die schönen Mirakelbarsche in Ruhe herumschwimmen, ohne dass sie mit einem Strömungsschub hunderte Meter verdriftet werden und nicht mehr nach Hause finden.

Die (fast) korallenlosen Felsriffe

Aber auch, wenn wir Korallenfans sind, lohnt sich ein Abstecher in die (fast) korallenlosen Felsriffe mit Strömungen wie in einer Waschmaschine. Wo sonst können wir etwa 30 Halfterfische in Formation über die Felsen schwimmen sehen? Außerdem ist es für uns interessant, welche Korallen diese strömungsexponierten Orte bevorzugen oder meiden! Weichkorallen sind bei turbulentem Wasser immer im Vorteil, denn, wie ihr Name ja aussagt, sie sind weich und können nachgeben. Mit dem Nachgeben haben Hartkorallen so ihre Probleme. Sie brechen eher und daher sind die wenigen Steinkorallen an solchen Orten auch eher Bonsai-Versionen oder schlichtweg gar nicht erst vorhanden. Zusätzlich erleben wir als Menschen, wie unelegant wir dem Meer ausgeliefert sind. Egal ob wir einen dicken Bauch haben oder uns dort athletisch dünn und strömungsoptimiert bewegen, wir werden hin- und her geworfen, wie eine Einkaufstüte im Kofferraum bei schneller Serpentinenfahrt. Unter solchen Bedingungen passiert es mir immer wieder, dass ich neidisch auf dicke Haie blicke, die zwar vollgefressen und recht rundlich, aber immer noch vollkommen relaxt in der Strömung stehen, keine einzige Flosse bewegen müssen und uns nur mitleidig ansehen! 

Also schnell wieder eine ruhige Bucht ansteuern und das natürliche Riesenaquarium ganz in Ruhe in geringer Tiefe und ohne Strömung einfach nur genießen. Die Riffe ragen aus 10-20 Meter Tiefe bis zur Wasseroberfläche und werden im Wachstum nur durch die Wellenbewegung und den Luftkontakt begrenzt. Das ist schön für die Schnorchler, die hier endlich einmal Neben sich, und nicht immer nur aus der Helikopterperspektive, das Leben im Riff beobachten können. Und das ist hier wirklich vielfältig!

Das vielfältige Leben im Riff

Aber genau die schönsten, buntesten und skurrilsten Organismen, die wir sehen, sind für die Aquarien leider vollkommen ungeeignet: Die Nacktschnecken! Ihre Nahrung ist für fast jede Art eine andere und jedes Mal so speziell, dass wir nur mit ganz viel Glück eine Nacktschneckenart im Aquarium erfolgreich über einen langen Zeitraum pflegen können.

Auch wenn Anemonenfische nun wirklich in fast jedem tropischen Meer (außer Karibik) zu finden sind, ziehen sie uns immer wieder in ihren Bann. Und auch bei der hundertsten Begegnung können wir bei genauem Hinsehen immer noch etwas entdecken: Wie viele Clowns leben eigentlich in einer Anemone und wie groß sind die Anemonen mindestens, in denen ein Paar lebt? Wie viele Generationen leben in einer Anemone zusammen? Welche weiteren Fische werden geduldet? Wie weit entfernen sich die Fische von ihrer Anemone? Leben noch Mitbewohner wie Garnelen oder Krebse an der Anemone, oder sogar beide auf Einmal?

Im Aquarium machen die meisten Falterfischarten eher Ärger als Freude, da sie permanent an unseren mühsam gepflegten und teuer erkauften Korallenpolypen herumzupfen. Vietnam ist ein Falterfischparadies! Hier sehen Sie in 30 Minuten unter Wasser über 10 verschiedene Arten und Sie können vollkommen entspannt zusehen, wie jede Art ihre bevorzugten Korallen frisst, ohne dass es im Portemonnaie weh tut. Auch bei den Zwergkaiserfischarten (Centropyge) lohnt es sich, etwas Zeit für die Beobachtung aufzuwenden: Individuen der gleichen Art fressen durchaus nicht immer das Gleiche. Manchmal stehen Korallen auf dem Speiseplan und manchmal nicht – genau wie im Aquarium. Zwergkaiserfische und Kaiserfische sind wegen ihrer schönen Farben begehrte Fotomotive und haben schon so manchen Fotografen in den Wahnsinn getrieben. Wer ihr Verhalten aber ein wenig kennt, weiß, wie er sie erwischen kann: Fast alle Kaiser schwimmen erst einmal weg, aber sie drehen sich mit hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit EINMAL um, ob ihr Verfolger noch hinter ihnen ist. Das ist dann immer die beste Chance für ein schönes Portraitfoto.

Die kleinen Riffbarsche, die unter den Meerwasseraquarianern ja „nur“ die Anfänger kaufen und oft unbeachtet im Händleraquarium schwimmen, erlangen unter Wasser eine ganz andere Bedeutung. Wer einem Schwarm Demoisellen über einer Geweihkoralle (Acropora) zusieht, wie sie absolut synchron bei Gefahr darin verschwinden, um kurz darauf wieder alle aus dem Schutz hervorkommen, ist so fasziniert, dass er nie wieder im Zoofachgeschäft achtlos an ihnen vorbeilaufen wird. Das blitzartige Verstecken zwischen den Korallenästen und das Erscheinen wie eine Wolke aus der Koralle gehört tatsächlich zu den schönsten Vorgängen im Riff. Außerdem gibt es wirklich viele kleine Riffbarscharten, die farblich unglaublich schön sind. Nur einige verlieren im Alter die schöne Farbe und werden nicht nur hässlich, sondern dazu auch noch äußerst aggressiv! Riffbarsche gehören auch zu den wenigen Fischarten, die aktiv Taucher oder Schnorchler attackieren. Ihre Bissspuren sind aber eher mikroskopisch klein, im Gegensatz zum Titandrücker, der einmal vor meinen Augen einem Tauchkollegen ein wenig attraktives Loch in seine Wange gebissen hat. Heute ziert dieses Loch ein dickes Piercing! Not macht erfinderisch…

Aber auch, wenn uns die Normalitäten wie Anemonenfische und Riffbarsche immer wieder faszinieren, brennen wir auch darauf, etwas Besonderes zu entdecken. Tiere, die unser Nachbar Meier auf den Malediven eben nicht sieht. Kein Problem, auch damit kann Vietnam dienen: 

Im Schutz der Stacheln von Diademseeigeln schwimmen recht oft Geisterpfeifenfische. Da sie sich geschützt fühlen, bleiben sie auch dort und können in Ruhe beobachtet werden. Bei Kugel- und Kofferfischen ist dies anders. Sie hauen ab und man muss ihnen nur mit den Augen folgen, bis sie sich unter einer Tischkoralle verstecken. Dort finden wir sie dann meistens wieder und im Schutz der Koralle lassen sie sich oft entspannter betrachten. Wunderschön gefärbte Fangschreckenkrebse sind auch nicht so selten. Wer sie dennoch übersieht, kann sie abends im Aquarium des Restaurants und später auf dem Teller genießen.

In Spalten und an gut geschützten Riffbereichen leben Seenadeln. Die Tiere haben mich schon sehr früh in ihren Bann gezogen. Die nicht ernst gemeinte Aussage zur engen Verwandtschaft von Seepferdchen und Seenadeln habe ich nie vergessen: „Wenn man ein Seepferdchen lang zieht, bekommt man eine Seenadel“ - Artenkunden im Biologiestudium für Fortgeschrittene.

Wem die Raritäten tagsüber nicht reichen, kann sich in das durchaus sehenswerte Nachtleben stürzen – unter Wasser natürlich! Vor mir war niemand dort nachts tauchen und nach meinem Nachttauchgang wurde ein Gesetz erlassen, dass nur noch vom Strand und mit Voranmeldung nachts das Meer betreten werden darf. Wir konnten nie ergründen, was den wirklichen Ausschlag für dieses neue Gesetz gab. Sehr schade, denn nachts kommen ja bekanntlich Tiere zum Vorschein, die tagsüber niemals oder sehr selten zu sehen sind. Eines der Highlights waren Stummelschwanzsepien und ein Krake, der irgendetwas imitieren wollte. Ich konnte nur nicht herausfinden, was es sein sollte. Nachts lohnt sich übrigens, im Gegensatz zum Tag, der Sandboden! Es krabbelt und kriecht und vergräbt sich so manches Getier auf dem sonst meist langweiligen Lebensraum. 

Auf der JBL Expedition nach Vietnam wurden folgende Wasserwerte ermittelt (an verschiedenen Orten um die Insel Hon Mun):

Wassertemperatur Oberfläche:  28,8-29,6 °C
Leitfähigkeit:  50,5-50,8 mS/cm
Dichte:  1,022-1,023
pH:  7,8-8,2
KH:  6-8 °dKH
Ca:  420-480 mg/l
Mg:  1020-1460 mg/l
O2:  meist 10 mg/l

Sollten Sie sich an den schönen Korallenriffe irgendwann satt gesehen haben, leihen Sie sich ein kleines Moped und biegen Sie von einer Hauptstraße einfach in den Dschungel ab. Ausgewiesene Wasserfälle sind immer lohnenswert, denn dort finden Sie klares Süßwasser, in dem auch noch die eine oder andere Überraschung herumschwimmt: Vom Schlangenkopffisch über Barben bis zu sehr interessanten Grundeln!

Reisetipps:

Die meisten 11 h Langstreckenflüge enden in der 8 Millionen-Stadt Ho-Chi-Minh-City (früher Saigon). Nehmen Sie sich einen Tag Zeit, um die Stadt zu erkunden und vielleicht einen weiteren Tag für „die Mutter des Wasser“, den 5000 km langen Fluss Mekong. Sie kommen nie am gleichen Tag mit dem Flieger weiter zu Ihrem eigentlichen Ziel im mittleren Vietnam, z. B. Nha Trang. Dieser 500.000 Einwohner zählende Ort bietet eigentlich alles, was wir sehen möchten. Es gibt Hotels zwischen 12,- und 300,- €/pro Nacht. Die meisten liegen um die 35,- €/Nacht. Mit einem kleinen Moped oder auch per Taxi sind alle Entfernungen leicht zu bewältigen und sind bezahlbar. Deutsche Staatsbürger benötigen kein Visum für die Einreise. Die Lebenshaltungskosten sind deutlich geringer als in Deutschland und man könnte sich problemlos jeden Abend Languste satt leisten. Vietnamesen sind ein sehr freundliches Volk und lassen Fotos eigentlich immer zu. Langstreckenflüge sind mit Vietnam Airlines bereits ab 600,- € im Angebot und Inlandsflüge z. B. nach Nha Trang kosten dann zusätzlich 50,- € pro Strecke. Taucher zahlen um die 60,- € für 2 Tauchgänge und müssen nur ein einfache Tauchlizenz wie den Open Water Diver vorlegen.    

© 16.10.2022
Heiko Blessin
Heiko Blessin
Dipl.-Biologe

Tauchen, Fotografie, Aquaristik, Haie, Motorrad

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