Artensterben durch Aquarien?
Knapp vier Millionen Haushalte in Deutschland besitzen mindestens ein Aquarium. Laut Tierschützern tragen diese Menschen zum Artensterben bei und am liebsten würden Tierrechtler Aquarien generell verbieten. Aber warum denn bloß?
Nehmen wir einmal den beliebtesten Zierfisch, den Roten Neon, von dem 20 Millionen Tiere im Amazonasgebiet jährlich gefangen und in alle Welt exportiert werden. Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass sogar dieser in extrem großen Mengen gefangene Fisch in seinem Bestand absolut ungefährdet ist. Das klingt erst einmal nach einer Schutzbehauptung Brasiliens, wird aber verständlich, wenn man sich mit der Biologie des Fisches etwas beschäftigt: Die Tiere produzieren Millionen von Eiern, die frei in das Wasser abgegeben werden und dann im Bodenbereich zwischen Pflanzen, Laub und Ästen vor Laichräubern geschützt sind. In den Schwarzwassergebieten des Rio Negro, wo diese Fische hauptsächlich leben, herrscht ein permanenter Nahrungsmangel. Wer dort mit dem Boot in den Abendstunden herumfährt braucht nicht einmal ein Mückenmittel. Es gibt praktisch keine Mosquitos. Das Wasser ist mit einem pH-Wert von 4 so lebensfeindlich, dass dort nicht einmal Insektenlarven und anderes Plankton überleben können. Die Fische ziehen auf ihrer Nahrungssuche mit bereits eingefallen Bäuchen in die Überschwemmungsgebiete und werden dort gefangen. Je mehr Tiere abgefischt werden, desto mehr Jungtiere haben eine Chance zu überleben. Das Nahrungsangebot bestimmt hier die Größe der Population (Studie von Prof. Ning Labbish Chao 2012, Projekt Piaba).
Bei Meerwasserfischen ist es ähnlich. Wird eine Gruppe Demoisellen (kleine bunte Riffbarsche, die in sehr hohen Stückzahlen importiert werden) aus einem Riff gefangen, haben Jungtiere die Chance, deren Platz zwischen den Ästen der Geweihkorallen einzunehmen. Im Riff bestimmt nicht Nahrungsknappheit, sondern Raumangebot die Bestandsdichte.
Die Fakten
Tierrechtler punkten immer mit dem Argument, dass 70 % aller Zierfische auf dem Transport nach Deutschland sterben würden. Legen wir die tatsächlichen Zahlen kurz beiseite, dann würde z. B. ein Guppy keine drei Euro, sondern elf Euro in deutschen Zoofachgeschäften kosten – wenn die Zahlen denn stimmen würden. Geschütze Arten dürfen ohnehin nicht importiert werden. Da hilft bereits das Gesetz (Rote Liste IUCN www.iucnredlist.org ; CITES). Übrigens handelt es sich bei den meisten in den CITES Listen aufgeführten Fischen nicht um Zierfische, sondern um Fischarten wie Störe, die aus kommerziellen Gründen für den menschlichen Verzehr (Kaviar) importiert und getötet werden. Im Bereich der Süßwasseraquaristik wurden von etwa 15.000 bekannten Arten nur 4.800 jemals in Aquarien gepflegt. Davon wiederum nur 200-400 Arten regelmäßig. Die ersten 10 Arten der Import-Hitlisten machen bereits 80 % aller importierten Arten aus. Zum Vergleich: Die Menge an verzehrten Süßwasserfischen liegt in Deutschland bei etwa 70.000 Tonnen pro Jahr. Von den 200-400 regelmäßig repflegten Arten werden 90 % in Gefangenschaft nachgezüchtet. Nur 10 % laufen unter Wildentnahmen, wobei importierte Nachzuchten ebenfalls unter „Wildimporten“ laufen (z. B. Guppys aus Singapur oder Sri Lanka). Dr. Stefan Hetz, Dozent an der Uni Berlin, hat nachgewiesen, dass die genannte 70 % Verlustrate bei Importen frei erfunden ist (Brief an Dr. Gebhart MdB, 16.01.14): „Die im Text von pro Wildlife zitierte Arbeit (Oliveira, S. R. , Souza, R. T. Y. B., E.G. 2008) selbst zitiert wiederum zwei Arbeiten (Waichman, A.V. Pinheiro, M. und Marcon 2001), welche ebenfalls keine auf einer wissenschaftlichen Basis nachprüfbaren Angaben zur Mortalität liefert. Infolge dieser Tatsache müssen die Daten in der zitierten Arbeit und somit bei pro Wildlife als erfunden eingestuft werden. Die wirklichen und nachprüfbaren Verlustraten beim Fischimport (sowohl beim Süß- als auch beim Meerwasser) liegen bei 1-3 %. Wer eine wissenschaftliche Studie zu diesem Thema lesen möchte, sei die Masterarbeit von Matthias Homuth von 2010 an der Humboldt-Universität von Berlin empfohlen.
Die Bedeutsamkeit von Aquarien
Kommen wir zurück zu den Aquarien im Wohnzimmer. Wie wollen wir z. B. Kinder für Natur, Verantwortungsbewusstsein und Tiere begeistern, wenn nicht über die Tierhaltung selbst? Durch Computerspiele?
Fische können in Aquarien deutlich älter werden als sie in der Natur durch natürliche Selektion je geworden wären. Es fehlen die Räuber, die den Bestand auf natürliche Weise dezimieren. In Schauaquarien, wie z. B. dem Berliner Aquarium, können wir echte Methusalems in den Aquarien beobachten, die in der Natur keine Chance mehr hätten. Überhaupt erzeugen die Schauaquarien viele Gedanken, die ohne den Anblick der Fische und Wirbellosen nie entstanden wären. In Schautafeln und Videos werden die Besucher an ökologische Probleme in der Natur herangeführt, über die sie sich im Fernsehen nie informiert hätten. Aber vor Ort, praktisch genau neben den betroffenen Bewohnern, ist es dann doch interessant und bestürzend. Sie werden die Plastiktüte nun nicht mehr so einfach in den Fluss oder das Meer werfen.
Bei der Auswahl der gezeigten Tierarten wird in deutschen Schauaquarien (in Asien sieht die Welt wieder anders aus) auf die Platzbedürfnisse der Tiere penibel geachtet. Pelagische Hochseehaie werden nicht gezeigt, während hingegen kleine Haiarten, die auch in großen Mengen nachgezogen werden, absolut naturnah gepflegt werden können. Wer die Schönheit erlebt und über die Bedrohung der Haie durch den Fang für Haifischflossensuppe etwas in Schauaquarien erfahren hat, sieht die Tiere von dem Moment an mit anderen Augen. Nur hat nicht jeder die finanziellen oder zeitlichen Möglichkeiten, in die Regionen zu reisen, in denen die Tiere leben. Und genau da bekommen Aquarien ihre Wichtigkeit: Holen Sie sich ein Stück schützenswerter Natur nach Hause oder erleben Sie Tiere und erfahren Sie etwas über die Tiere und deren Ökosysteme in öffentlichen Schauaquarien! Eine wirkliche Alternative Menschen zu begeistern und vom Naturschutz zu überzeugen haben wir nicht und die Natur schon gar nicht…